Vanistendael, Larcenet / Alfonz / McCarthy, Ross, Adlard / Spurrier
Reprodukt|Judith Vanistendael | Atan von den Kykladen | Reprodukt | 128 Seiten | 22 EUR
Mein kleiner Lieblingscomic: Manchmal sind es im Museum nicht die ikonografischen Werke, die den Blick einfangen und die Aufmerksamkeit binden. Ein kleines, scheinbar unscheinbares Objekt kann uns an eine Vitrine fesseln und uns emotional berühren. Ähnlich ging es eventuell Judith Vanistendael im Louvre, als sie in der Abteilung für griechische, etruskische und römische Antike von einer Statuette gebannt wurde. Wer hatte vor ca. 5000 Jahren dieses kleine Idol geschaffen? Wer hatte es besessen, es bewundert, es geliebt? Welche Bedeutung kam ihm damals zu? Solche oder ähnliche Fragen müssen die belgische Comickünstlerin beschäftigt und nicht mehr losgelassen haben, sodass sie uns und sich selbst in Form einer kleinen Graphic Novel eine Antwort darauf gab. Heraus kam der liebevoll gestaltete und ruhig erzählte Band Atan von den Kykladen: eine stimmungsvolle Coming-Of-Age Geschichte um die Entwicklung kreativer Fähigkeiten und von den Menschen, die einem den Weg dafür ebnen.
Hier gibt es keine Action und keine aufregende Handlungsentwicklung. Es wird aber mit Empathie für die Figuren gezeigt, wie der junge talentierte Handwerker Atan von seiner Heimatinsel in die Lehre zu einem bekannten Bildhauer auf der Nachbarinsel Naxos kommt. Dort kann er zusammen mit seinem Mitlehrling Rivo die einzelnen Schritte der eigenen künstlerischen Entwicklung durchlaufen. Er muss dabei natürlich auch die üblichen Arbeiten eines Lehrlings erledigen (vgl. Bild links), doch wird er dabei unterstützt von Rivo und gestützt von seinem Meister, der seine Begabung erkennt und seine Entwicklung fördert. Der Lehrmeister fordert ihn dann sogar auf, den Rahmen des Gelernten zu durchbrechen und etwas Neues zu erschaffen, das nur er in seinem Stein sehen kann. So kann Atan letztlich vom Handwerker zum Künstler werden.
Flüssig gezeichnet in einem modernen franco-belgischen Stil mit schnellem Strich, so wie ihn ähnlich auch Joann Sfar oder Catherine Meurisse bevorzugen, kommt die Handlungsentwicklung ohne klassische Panels aus. Das erhöht das Lesetempo und lässt die Bilder manchmal grenzenlos ineinander übergehen. So kann der Band auch graphisch überzeugen.
Am Ende des Buches findet dann noch ein kleiner Essay über kykladische Kunst von Fabrice Douar, einem Kurator am Louvre. In diesem Artikel kann man auch Bilder derjenigen Stelen sehen, die Judith Vanistendael bei ihrer Arbeit an der kleinen und feinen Graphic Novel inspiriert haben.
Edition Alfons|Alfonz | Ausgabe 3/2024 | Reddition | 108 Seiten | 9,95 EUR
Erfrischend deutlich: Das Magazin Alfonz hat sich inzwischen als führende Stimme des Comic-Journalismus in Deutschland etabliert. Neben fachlich exakten Hintergrundberichten und Reportagen finden sich dort natürlich hilfreiche Rezensionen, aber auch immer wieder klare Statements zu Entwicklungen in der deutschen Comic Szene. Besonders der Kommentar 'Mit der Kunst am Ende' über die diesjährigen Auszeichnungen bei der Max-und-Moritz-Gala beim Comic-Salon in Erlangen dürfte vielen Comic-Fans aus der Seele gesprochen haben. Björn Bischoff beklagt darin den elitären Eskapismus der Jury, die sich vom "Kram, den das Publikum liest", abgrenzen möchte, um so eine nicht wirklich existierende Linie zwischen "ernstzunehmender 'grafischer Literatur' und eben Comics zu ziehen." Die eine Seite der Kritik ist, dass sich die Jury dabei speziell in diesem Jahr auf den Pfad einer unbedingten Political Correctness begibt und den Aspekt übersieht, dass gerade bei Comics "ein ausgezeichnetes Werk [auch] unterhalten" sollte. Sonst entfernt sich die Jury des Comic-Salons nämlich von der eigentlichen Hauptstraße, die Comics als populäre Bilderzählungen definiert. Dass es beim Begehen dieses Pfades zudem noch "nicht so sehr um die Qualität der Arbeiten ging, sondern nur um [eben diese] Abgrenzung", ist eine weiterer ernstzunehmender Kritikpunkt. Gerade das wichtigste deutsche Comic-Event muss also als "offenes, freundliches, buntes Festival" die Verpflichtung haben, mit ihrem Preis nicht nur "einen kleinen und exklusiven Kreis anzusprechen", will man mit dem Max-und-Moritz-Preis nicht genau dahin wandern, wohin der Comic-Salon nie wollte: nämlich ein "Event exklusiv für nerdigste Comicnerds" zu sein. Und genau aus dieser Einsicht heraus feiert Alfonz nur wenige Seiten weiter auch Tobi Dahmens Graphic Novel Columbusstraße als ein starkes Stück Erinnerungskultur. Hier wird exemplarisch der Spagat zwischen inhaltlichem Anspruch und durchaus unterhaltsamer Erzählweise erfüllt. Und das ist nur ein Beispiel aus einer Reihe preiswürdiger Neuerscheinungen des letzten Jahres.
Reprodukt|Manu Larcenet / Cormac McCarthy | Die Straße | Reprodukt | 160 Seiten | 25 EUR
Aller guten Dinge sind drei: Musste das wirklich sein?